Die Revolte der Facebook-Generation hat gesiegt, der ägyptische Staatschef Husni Mubarak hat überraschend am Wochenende die Segel gestrichen und Kairo vorerst in Richtung Scharm al-Scheich verlassen. Seine Entscheidung fiel buchstäblich in der letzten Sekunde, denn die Bauern und Arbeiter standen kurz davor, sich an den Kundgebungen zu beteiligen. Was ohne das brutale Einschreiten der Polizei bzw. der angeblichen Mubarak-Anhänger durchaus friedlich geblieben wäre, hätte auf jeden Fall eine blutige Kehrtwende ausgelöst. Jetzt hat das Militär vorerst die Kontrolle übernommen. Die Generäle haben in diesen 18 Protesttagen sehr besonnen reagiert. Und sie haben die größte Mühe gehabt, ihren Oberbefehlshaber zu seiner Abdankung zu überzeugen, ohne dass weiteres Blut geflossen ist. Hätte der 82-jährige keinen Rückzieher gemacht, wäre es sicherlich zu erbitterten Kämpfen zwischen der Armee und der Polizeigarde Mubaraks gekommen - das hätte Bürgerkrieg bedeutet! Die Zeitungen titelten am Samstag: "tanahha" (er trat zurück). Die meisten Menschen konnten auch in den Tagen nach dem politischen Erdbeben noch gar nicht fassen, dass es vorbei ist bzw. dass sich mit dem Abgang des verhassten Mannes die Situation schlagartig geändert hat. Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei meinte gegenüber der BBC: "Das ist der schönste Tag meines Lebens!" Viele der Protestierenden sprechen von einer zweiten Geburt. Doch war es eine Zangengeburt und keiner weiß nun, wie es weitergeht. Den Himmel auf Erden wird es auch nach Husni Mubarak im Land am Nil nicht geben. Es war ein Anfang - alles Weitere muss jetzt erarbeitet werden. Nach wie vor unklar ist es etwa, ob die Generäle zu ihrem Wort stehen und das Land wieder dem Volk in Form von Neuwahlen zurückgeben. Das Wort "Militärdiktatur" steht nach wie vor im Raum. Und dann sind da auch noch die Islamisten, die Muslimbrüder, die in der zweiten Reihe mitgekämpft haben - welche Rolle werden sie künftig spielen? Sehr viele hoffen, eine untergeordnete. Schließlich ist Ägypten das wirtschaftlich wichtigste arabische Land auf dem afrikanischen Kontinent. Ein Land, mit der höchstwahrscheinlich engsten Bindung an die westlichen Industriestaaten und an Israel. Die Opposition Mubaraks fordert nun ihr Recht ein, auf dem Spielfeld der Macht mitspielen zu können. Schließlich war ja sie es, die das Ganze losgetreten hatte. Nun geht es in Algerien weiter. Hier kam es ebenfalls zu Freudenkundgebungen nach der Nachricht aus Ägypten. Nur wenig später standen die Menschen erneut auf der Straße - um gegen den Präsidenten Abdelaziz Bouteflika zu demonstrieren. Dieser ließ allerdings 30.000 Polizisten und Geheimdienstler auffahren - mit Schlagstöcken wurde die Kundgebung brutalst niedergeknüppelt. In diesem an sich reichen Staat (Erdöl bzw. Erdgas) kommt das Geld ebenfalls nicht bis zur Bevölkerung. Doch ist die Situation umso brisanter, als die Demokratische Republik Algerien eigentlich eine Militärdiktatur ist, die von einem Präsidenten geführt wird. Auch im Jemen strömten erneut tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Regime von Ali Abdullah Saleh zu protestieren. Hier prallen immer wieder regierungskritische und regierungstreue Protestgruppen aufeinander. Die Ägypter sind zum Vorbild all jener Volksgruppen geworden, die sich Veränderungen wünschen. Dies kann für den ganzen Kontinent aber auch für den Nahen Osten gewaltige Folgen haben. Selbstbestimmung ist das Zauberwort - nicht mehr das tun müssen, was einem die Regierung von oben herab befiehlt zu tun. Autokraten, die in die eigene Tasche regieren, werden gestürzt werden. Es wird zu Massenprotesten kommen, die hoffentlich im Geiste Kairos und Tunis gewaltfrei ablaufen, wodurch auch den militanten Islamisten der Wind aus den Segeln genommen wird. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 5 KW 7 | 15.02.2011 |
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